Meditation zum Weißen Sonntag
Tränen und Liebe!
Foto: Angelika Kamlage
“Das glaub ich nicht!” — Wer hat nicht selber schon so reagiert auf außergewöhnliche Nachrichten. Als ob der Zweifel und damit der Unglaube die natürliche Reaktion darauf wäre.Dem Jesusjünger Thomas wurde der Zweifel quasi zum Namensbestandteil. Um ihn geht es im zweiten Teil der Perikope. Zunächst geht es aber um jenes Ereignis, an dem der Jünger zweifelt:
Zu den Jüngern, die sich aus Angst vor Verfolgung versteckt und verrammelt haben, kommt Jesus, der Totgeglaubte. Das wird als Tatsache geschildert — ohne Anklang an mysteriöse Erscheinungen. Der Friedensgruß ist der bis heute gewöhnliche jüdische Gruß: Shalom! Dass er doppelt, ja dreifach ergeht, weist auf die Bedürftigkeit der angstvoll-verwirrten Jünger hin, aber auch darauf, dass “Frieden” für die Sendung der Jünger mehr ist als ein Gruß, nämlich ihr innerer Kern. Mit den Wundmalen weist Jesus sich aus als der Gekreuzigte. Es ist derselbe, mit dem sie vor der Passion gelebt haben: Der Gekreuzigte ist der Auferweckte. Mit Geistmitteilung (Leben einhauchen) und Sendung (der Auftrag des Vaters gilt weiter) weichen Zweifel und Angst. Er ist es. Er wurde vom Vater nicht im Stich gelassen. Er lebt.
Thomas war nicht dabei; er kann nicht glauben, was er hört. Er will sehen und fühlen. So wird er zum Prototyp aller, die für ihren Glauben Belege wollen, am liebsten Wunder. Tatsächlich erfahren wir gar nicht, ob Thomas wirklich seine Hand in Jesu Wunde gelegt hat. Auch nicht, ob das Sehen ihn zum ebenso plötzlichen wie unbedingten Gottesbekenntnis gebracht hat oder — wahrscheinlicher — die Begegnung mit dem Auferweckten selber. Denn wieder brilliert Jesus mit Herzenskenntnis, mit Tiefenblick.
Thomas steht allen Nachgeborenen nahe, die für ihren Glauben an den lebendigen Jesus Christus auf den Glauben der Zeugen vom Anfang verwiesen sind. Die Erfahrung der Zeugen mit Jesus — vor und nach Ostern — steht am Anfang des Glaubens aller, die Jesus nicht selber erlebt haben.
Weil Thomas aber als Weggefährte den irdischen Jesus kannte, endet dieser Abschnitt mit einem Tadel für den Jünger und mit einer Seligpreisung für alle, die in Zukunft zum Glauben gelangen, ohne sehen zu können.
Insofern kann sich nach diesem Herrenwort die in manchen Kreisen verbreitete Gier nach Wundern kaum auf Jesus berufen. Ostern ist nicht zu überbieten.
Bernhard Riedl
theologischer Referent im Referat Dialog und Verkündigung im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln